Ein Gespräch mit Dr. Udo Baer und Dr. Gabriele Frick-Baer darüber, wie die Kreative Leibtherapie entstand. Sie erinnern sich an die Anfänge, erläutern die Rolle persönlicher Erfahrungen und äußern ihre Wünsche für die Zukunft.
Warum habt Ihr Euer Fortbildungsinstitut für Kreative Leibtherapie Zukunftswerkstatt genannt?
Udo: Anfang der 1980-er Jahre wollten wir mit dem Begriff Werkstatt ausdrücken, dass wir angetreten sind, neue Ideen und Projekte umzusetzen – und nicht nur zu sagen: „Man müsste mal.“ Genau dieses „man müsste mal“ hörten wir oft bei unserer Arbeit bei einem Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege. Doch neue Konzepte waren dort kaum realisierbar. Daher haben wir einen Verein gegründet, der „man müsste mal“ macht – eine Werkstatt, die in die Zukunft gerichtet ist.
Gabriele: „Man müsste mal“ bezog sich dabei darauf, Sozialarbeit zu verbinden mit humanistischen und therapeutischen Grundsätzen. Wir waren beide in der Sozialarbeit tätig und durchliefen andererseits eine therapeutische Ausbildung. Die Namensgebung hatte übrigens nichts zu tun mit der damals aufkommenden Methode von Robert Jungk, die dieser Zukunftswerkstatt nannte.
Was war das erste Projekt der Zukunftswerkstatt?
Gabriele: Ein Gesundheits- und Bewegungszentrum in Duisburg-Marxloh, einem sozialen Brennpunkt mit vielen gesundheitlich hoch belasteten Menschen. Zu unserem Angebot gehörten Kurse wie die „Herzbegleitung“ für Menschen nach einem Herzinfarkt oder „Die gestresste Wirbelsäule“. Ich finde, da haben wir eine wundervolle und sehr berührende Arbeit gemacht.
Udo: Wir waren mit diesem Angebot unserer Zeit weit voraus. Man kann auch sagen: Wir waren zu früh. Denn damals gab es noch keine Präventionsarbeit und keine Förderung solcher Angebote durch Krankenkassen. Das bedeutete auch, dass wir sehr viel ehrenamtlich gearbeitet haben und zugleich für die Finanzierung der Räumlichkeiten hohe Kredite aufnehmen mussten – und dass wir längst nicht immer wussten, wie das Geld wieder reinkommen sollte. Doch es war trotzdem eine sehr gute Zeit. Erst letzte Woche habe ich bei einem Seminar zur Würde-Achtsamkeit den Teilnehmern Übungen angeboten, die wir vor rund 30 Jahren in Marxloh für Kopfschmerz-Gruppen entwickelt haben: eine „Schmerzpipeline“, bei der man über Achtsamkeit und Atem versucht, den Schmerz aus dem Körper herausfließen zu lassen. Und ich habe mich sehr gefreut, wie gut das bei den Teilnehmern angekommen ist.
Wie entwickelte sich aus dem Gesundheits- und Bewegungszentrum die Idee, Fortbildungen für Menschen aus sozialen Berufen anzubieten?
Gabriele: Wir haben gemerkt, dass es sehr schwer war, Kolleginnen und Kollegen zu finden, die die Angebote im Gesundheits- und Bewegungszentrum in unserem Sinne durchführen konnten. Da gab es einerseits diejenigen, die parallel zu uns eine Ausbildung in Gestalttherapie oder Psychotherapie gemacht haben. Und da gab es andererseits die Sozialarbeiter. So sind wir darauf gekommen, eine Ausbildung anzubieten, die beide Berufsfelder miteinander verknüpft – auch, um qualifizierte Kolleginnen und Kollegen zu finden.
Udo: „Tanz-Soziotherapie“ hieß diese einjährige Vollzeit-Ausbildungsmaßnahme, die vom Arbeitsamt unterstützt wurde. Etwa ein Viertel der Ausbildung nahm die Selbsterfahrung ein. Rund 1,5 Tage pro Woche wurden für Bewegungsstudien und Tanzunterricht verwendet. Daneben ging es um Methoden, die noch unter dem Label Gestalttherapie oder integrative Therapie liefen. Wichtiger Teil der Ausbildung waren zudem Praktika – in der mobilen Orientierungsschule, in Schmerzgruppen, in Altenheimen.
Könnt Ihr Euch noch an den ersten Tag dieser ersten Vollzeit-Fortbildung im Februar 1989 erinnern?
Udo: Ich kann mich an den Tag davor erinnern. Da hat Gabriele nämlich gesagt: Da gehe ich gar nicht hin – es kommt sowieso niemand. Mein Hinweis, dass uns 11 oder 12 verbindliche Verträge vorlagen, konnte ihre Zweifel nicht wirklich beseitigen.
Gabriele: Ich erinnere mich noch, wie ich am ersten Tag aus dem Aufzug stieg – und da saßen doch tatsächlich einige Menschen um einen Tisch in der Cafeteria herum und wollten loslegen. Das war ein genialer, großartiger Moment.
Welche Erinnerungen sind noch mit den ersten Tagen der Zukunftswerkstatt als Fortbildungsstätte verbunden?
Gabriele: Es gab dauernd neue Herausforderungen. Einige waren existentiell und hingen damit zusammen, dass wir beide unsere angestellten Tätigkeiten aufgegeben hatten und trotzdem unser Leben mitsamt von zunächst zwei – und dann drei – Kindern finanzieren mussten. Vor allem aber gab es viele kleinere Schwierigkeiten, dafür nur ein Beispiel: Die ersten Fortbildungen fanden in den Räumen des Gesundheits- und Bewegungszentrums statt, die wir passend fanden. Aber die Teilnehmer, die vom Tanz kamen, vermissten einen Schwingboden und störten sich an den Gittern vor dem Fenster….
Udo: Und andererseits sagten die Menschen, die von der sozialen Arbeit kamen: „Das sind Luxusräume, das ist etwas für reiche Kapitalisten.“
Gabriele: Wegen der Tänzerinnen und Tänzer haben wir damals mit großem Aufwand überall Spiegel angebracht. Die sind später nie gebraucht worden, weil unsere Arbeit sich in eine andere Richtung entwickelte: Wir spiegeln uns ja gegenseitig und im Dialog.
Tanztherapie-Ausbildungen gab es damals einige. Was zeichnete Euer Angebot aus?
Gabriele: Der Bezug zur Praxis im sozialen Feld. Auch bei den späteren Teilzeit-Ausbildungen haben wir immer darauf geachtet, dass unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Gelernte in der beruflichen Praxis umsetzen konnten. Unseren Teilnehmern gelang es von Anfang an, in Institutionen unterzukommen. Und so haben immer mehr Arbeitgeber unsere Fortbildungen schätzen gelernt. So konnte die Zukunftswerkstatt wachsen.
Udo: Weil unsere Ausbildung so praxisbezogen war und Teilnehmerinnen vom Arbeitsamt gefördert wurden, sahen andere Anbieter ihre Felle davonschwimmen. Oft haben sie mit dem Versuch reagiert, unsere Kompetenz anzuzweifeln – oder zu untergraben, was wir lehren.
Wie habt Ihr reagiert, wenn man Eure Kompetenz infrage gestellt hat?
Gabriele: Ich habe von Anfang an gesagt: Ich bin Dilettantin im Tanz, ich bin Dilettantin in Musik und ich bin erst recht Dilettantin in Kunst. Aber ich bin keine Dilettantin darin, kreative Methoden – Tanz, Musik, Kunst – in der Therapie einzusetzen. Es ging bei solchen Angriffen auf unsere Kompetenz auch darum, sich nicht wegzuducken.
Udo: Ein Beispiel dazu: Ich bin absolut kein Musiker und mein bestes Instrument ist der CD-Player. Aber ich habe trotzdem mit alten Menschen, Behinderten oder Sterbenden Musik gemacht. Und ich habe mit denen auch getanzt, obwohl ich keinen Spagat und Pas de Dingsbums kann.
Gabriele: Und bis heute gehört es für Seminarteilnehmer zu den bewegendsten Momenten, wenn Udo tänzerische Dialoge macht.
Udo: Ich habe anfänglich übrigens gedacht, es gehöre zum normalen Handwerkszeug von Musik- und Tanztherapeuten, mit den Klienten gemeinsam zu musizieren oder zu tanzen. Oder mit dementen Patienten zu singen. Doch es zeigte sich, dass das für viele Kolleginnen und Kollegen neu war. Das hat zu meinem Selbstbewusstsein beigetragen, so etwas zu unterrichten.
Habt Ihr damals angefangen, Eure Konzepte und Methoden der Kreativen Leibtherapie zu entwickeln?
Gabriele: Ja, auch wenn wir diesen Begriff noch nicht geprägt hatten. Wir haben anfänglich sehr viel ausprobiert und dabei gelernt, was möglich ist. Ich erinnere mich etwa daran, dass wir Menschen im Altenheim während unseres Angebots „Ich beweg mich – ich lasse mich bewegen“ nach ihren Idolen gefragt haben. Eine Teilnehmerin, die eigentlich nicht mehr stehen konnte, nannte Marlene Dietrich, die berühmte Schauspielerin der 1920er und 1930er Jahre. Und als die alte Dame Marlene Dietrich verkörpern sollte, stand sie auf einmal auf und war Marlene Dietrich. Oder an die demenzkranke Dame, die im Altenheim immer unruhig auf- und ablief und gar nicht zu stoppen war. Da bin ich neben ihr hergelaufen, bin in Resonanz gegangen, habe gehört, dass sie sagte: „Wo geht es denn hier nach Königsberg?“ Sie war innerlich wieder auf der Flucht aus Ostpreußen. Vieles, was wir inzwischen in unserer Kreativen Leibtherapie auch mit Worten entwickelt haben, nahm damals seinen Anfang.
Udo: Wir haben immer alles selbst praktisch erprobt – mit Alten, mit Traumatisierten, mit Schmerzpatienten, mit Kindern, mit Neurodermitikern. Dann haben wir nach und nach Menschen dazu genommen, die unsere Arbeit weitergeführt haben. Schließlich haben wir nach Worten gesucht für unsere Erfahrungen und Konzepte.
Ein wichtiger Schritt für Eure Arbeit war sicher Udos Buch „Gefühlssterne, Angstfresser, Verwandlungsbilder – Kunst- und gestaltungstherapeutische Methoden und Modelle“, das Ihr 1999 veröffentlicht habt und von dem es inzwischen 11. Auflagen gibt. Wie kam es zu dem Buch?
Udo: Anlass war eine Tagung mit unseren Dozenten. Da hieß es: „Wir brauchen unbedingt mal ein Buch.“ Und zugleich stellten wir fest, dass schon andere über unsere Methoden schrieben und sie als die eigenen ausgaben. Obwohl ich also zu dem Buch quasi gestoßen wurde und trotz Unterstützung durch Gabriele habe ich lange dafür gebraucht. Der Hauptgrund dafür war meine Scham. Ich hatte das Gefühl, es ist selbstverständlich, was ich zu sagen habe.
Gabriele: Ich habe häufig festgestellt, dass Menschen eine verzerrte Sichtweise auf dieses Buch haben. Viele dachten und denken, Udo habe nur gesammelt, was es in der Kunst- und Gestalttherapie schon gab. Doch es existierte damals gar nichts, was es zu Sammeln gab. Udo beschreibt in dem Buch originäre Methoden, die er entwickelt hat. Er hat die Fähigkeit, Theorien so einfach und praxisorientiert darzustellen, dass viele Menschen gar nicht erkennen, dass es sich um einen neuen theoretischen Ansatz handelt.
Wie habt Ihr es geschafft, in den Anfangsjahren Eure private Welt als Familie von den beruflichen Anforderungen zu trennen?
Udo: Das war oft äußerst schwierig. Vor allem dann, wenn wir Druck durch Konkurrenz und durch finanzielle Abhängigkeiten erlebten. Nur ein Beispiel: Für eine geplante Vollzeit-Ausbildungsmaßnahme hatten wir Teilnehmer, Dozenten und Räume, bevor wir dann einen Tag vor dem Beginn ein Fax vom Arbeitsamt erhielten: Aufgrund von Sparmaßnahmen gestrichen. Wir blieben auf allen Kosten hängen. In dieser Situation spiegelt sich eine existentielle Abhängigkeit wider. Diese Abhängigkeit haben wir so wenig ausgehalten, dass wir damals beschlossen, Fortbildungen nur noch mit Selbstzahlern zu machen. Mit der Konsequenz, dass wir von Vollzeit-Maßnahmen auf berufsbegleitende Fortbildungen umgestiegen sind, denn fast kein Selbstzahler kann sich eine Vollzeit-Ausbildung leisten. Doch natürlich haben unsere Kinder solche existentiellen Nöte atmosphärisch mitbekommen. Es gab außerdem Situationen, die ich bis heute bedaure: Einmal habe ich einen meiner Söhne nicht vom Schullandheim abgeholt, weil ich zu viel Arbeit hatte. Das hat ihn sehr verletzt. Auch Gabriele und ich hatten oft Schwierigkeiten gerade mit dem Übergang von Arbeit zur Freizeit – umgekehrt war es einfacher.
Gabriele: Wir haben da sicher längst nicht alles richtig gemacht. Udo hatte zwei Jungs aus erster Ehe mit in die Beziehung gebracht. Mich hat immer die Idee gebeutelt, dass wir zu wenig für sie und für unsere gemeinsame Tochter da waren. Letztens hat mir unsere Tochter allerdings gesagt: „Ich wusste immer, dass ich Priorität habe.“ Das war der bisher schönste Satz, den ich dazu gehört habe.
Udo: Außerdem mussten und müssen wir bis heute darauf achten, freie Zeiten zu haben. Dazu waren auch immer Kurzurlaube etwa in Holland oder am Chiemsee wichtig. Wir müssen unsere gewohnten Räumlichkeiten verlassen, um so einen Schritt beiseite machen zu können.
Gabriele: Andererseits haben wir es aufgegeben, in unserem Privatleben irgendetwas nicht haben zu wollen, was uns beschäftigt.
Was haben die Kerninhalte der Kreativen Leibtherapie mit Euren Lebensläufen zu tun?
Udo: Nehmen wir als Beispiel eines der Monster der Entwürdigung, die Leere. Ich habe in meiner Kindheit viel Leere erlebt. Daher habe ich danach gesucht, wie man aus der Leere herauskommt, ohne sie mit Drogen, Plätzchen, Arbeit oder Geld zu stopfen. Und ich bin dabei auf Spürende Bewegung und Selbstwirksamkeit gestoßen – wichtige Bestandteile der Kreativen Leibtherapie und zugleich ein Stück Selbstheilung. Mir selbst geholfen hat auch der Grundsatz, dass Beziehungsverletzungen Beziehungsheilungen brauchen.
Gabriele: Alles, was wir vertreten, hat mit eigenen Erfahrungen zu tun. Meine Kindheit war weniger von Leere als von Einverleibt-Erfahrungen bestimmt: Wie bin ich, wenn ich überhaupt wer bin? Die im Grundsatz experimentelle Haltung, die die Kreative Leibtherapie auszeichnet, war für mich lebensrettend. Außerdem bin ich mit einem Richtig-oder-Falsch-Konzept, einem Entweder-Oder, groß geworden, das mich fast in den Irrsinn getrieben hat. Daher propagieren wir heute das große „UND“. Wenn ich an mein 26stes und mein 27stes Lebensjahr denke mit den allertiefsten Krisen, die ein Mensch haben kann, und wenn ich reflektiere, was mich daraus gerettet hat: Das waren die Gespräche mit Udo und heilende Sätze. Und diese heilenden Sätze helfen auch Anderen.
Was waren denn Eure Vorerfahrungen mit Musik, Tanz oder Kunst?
Gabriele: Ich habe als Kind in einem Verein getanzt – mit einer Selbstverständlichkeit, die ich später nie mehr gefunden habe. Ich habe etwa Schneeflöckchen getanzt, aber auch eine Bäuerin. Dann hat meine wunderbare Kindertanz-Lehrerin gesagt, sie könne mich nicht mehr fördern. Dann bin ich auf eine Ballettschule gegangen, doch das war nichts für mich: Ich war – so zumindest mein Selbstbild – zu dick und im Training ging es darum, das Bein möglichst hoch zu heben oder in den Spagat gehen zu können. Meine Karriere war dann damit zu Ende, dass ich bei der Aufführung des „Nussknackers“ von Tschaikowski die Rolle eines Soldaten übernehmen musste. Es begannen dunkle Jahre und meine Liebe zum Tanz konnte erst wieder mit Udo und mit experimentellem Theater lebendig werden. Musik habe ich recht viel gemacht: Blockflöte, Klavier, Geige, Querflöte. Geige nicht gut, Klavier und Blockflöte ganz gut.
Udo: Meine Familie ist mit mir aus der DDR geflohen, als ich 8 Jahre alt war. Nicht gelebter Schmerz und nicht gelebte Trauer führten dazu, dass ich meine Musikalität verloren habe. Ich finde beim Singen Töne nur, wenn ich nicht darauf achte. Ich habe als junger Mann viel experimentielles Theater gespielt, Improvisationstheater, Straßentheater, auch Theater mit Kindern.
Was ist Euch aus Euren Anfangsjahren mit der Zukunftswerkstatt positiv in Erinnerung geblieben?
Udo: Anfänglich hat es mich an jedem Seminartag etwas gewundert und gleichzeitig gestärkt und gefreut, dass die Teilnehmer geblieben sind, zugehört, mitgeschrieben und nachgefragt haben.
Gabriele: Ich habe Ähnliches vor allem später empfunden – immer, wenn ich in Raum 1 in Neunkirchen-Vluyn kam. Der sollte eigentlich nur für Einzeltherapien und die psychotherapeutische Aufbaufortbildung dienen. Doch daraus wurde ein Raum, wo andere Kolleginnen und andere Gruppen und auch Tänzerinnen hinkamen, obwohl er verkehrstechnisch schwer erreichbar war und die Decken nicht perfekt. Da habe ich gemerkt, jetzt komm das Therapeutische – unsere Eigenart – bei den Menschen an.
Worauf seid Ihr heute stolz?
Udo: Dass wir die Ausbildungsgruppen fast immer voll bekommen haben. Dass wir eine Theorie aufgestellt, also Worte für die Praxis gefunden haben. Dass die Grundgedanken aus dem Buch „Kreative Leibtherapie“ jetzt so fruchtbar sind. Oft habe ich jetzt das Gefühl, zu ernten: Unsere Bücher verkaufen sich gut, allein „Das Herz wird nicht dement“ über 40.000 Mal. Menschen sprechen mich nach Vorträgen an und drücken ihre Freude aus, mich oder uns mal live zu sehen. Zudem funktioniert auch unser „back to the roots“: Die Bewegungs- und Gesundheitsgruppen laufen – mit der AOK oder der Novitas. Schließlich bin ich auch stolz darauf, dass wir den Generationswechsel hinbekommen haben: In den Anfangsjahren haben Gabriele und ich noch jedes Wochenende mehrere Stunden mit den neuen Dozenten telefoniert, um über die Ausbildungsgruppen zu reden und zu beraten. Dann haben wir Co-Leitungen eingeführt. Dann haben wir das Webdoc eingeführt – einen Internetzugang zu unseren Seminarkonzepten und zu den Teilnehmermaterialien. Dann haben wir Fortbildungen und Konferenzen speziell für die Dozenten durchgeführt. Nun können wir die Ausbildungen abgeben in der Gewissheit: Wo Kreative Leibtherapie oder Zukunftswerkstatt draufsteht, da ist auch Kreative Leibtherapie oder Zukunftswerkstatt drin, auch wenn jeder seine persönliche Art und Weise einbringt.
Gabriele: Da zahlt sich jetzt auch unsere unorthodoxe Entscheidung aus, dass wir alles immer weitergeführt haben mit Menschen, die bei uns Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren. Da hieß es oft: „Das macht man nicht, da muss man Rollen trennen“. Dem haben wir aufgrund vieler Erfahrungen entgegengehalten: Das geht nicht anders. Wo sollen die Menschen denn herkommen, wenn es eine vergleichbare Ausbildung nicht gibt.
Zurück zur eigentlichen Frage: Ich bin immer dann ein bisschen stolz, wenn ich von jemandem höre, dass wir oder unsere Methoden für sie oder ihn lebensverändernd waren.
Und seid Ihr nicht stolz darauf, mit ?? Jahren (Udo) beziehungsweise 60 Jahren (Gabriele) promoviert zu haben?
Gabriele: Schon. Dabei ging es uns aber indirekt auch um den Status und die Würdigung unserer Dozenten und Teilnehmer. So kam etwa eine Klientin in der ersten Therapiestunde, nachdem ich promoviert hatte, zu mir und sagte: „Ich bin so stolz, dass ich eine Therapeutin habe, die jetzt den Doktor hat.“ Da habe ich gemerkt, dass ich die eigene Promotion nicht so klein halten sollte. Eine Kollegin denkt jedes Jahr an den Tag, an dem ich promoviert habe, und gratuliert mir dazu.
Woher nimmt Ihr bis heute Euren Antrieb?
Udo: Der Ort meines inneren Friedens ist an der gleichen Stelle wie der innere Ort meines heiligen Zorns. Wenn ich mitbekomme, was Kindern angetan wird, wie mit alten Menschen umgegangen wird, was in der Welt passiert: Dann kommt immer wieder der heilige Zorn. Wir haben irgendwann beschlossen, dass wir diesen heiligen Zorn haben dürfen. Und dass wir den nicht einfach übertünchen oder wegpusten wollen. Wir können zwar nur einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich etwas ändert – aber den möchten wir leisten. Unsere Leidenschaft und unser Antrieb erwachsen aus dem heiligen Zorn.
Gabriele: Mich beispielsweise macht es fertig, wenn ich sehe, dass die AfD in der Tagesschau am gleichen Tag genauso viel Sendezeit bekommt, wie die 240 000 Leute in Berlin, die gegen die AfD und für eine bunte Gesellschaft auf die Straße gegangen sind. Und dann sage ich mir: Wir haben das Würde-Buch geschrieben. Wer will, kann sich daran orientieren. Und ich selbst kann mich daran orientieren. Ich weiß, ich kann nur etwas in meiner kleinen Welt tun. Mehr geht einfach nicht.
Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft?
Gabriele: 99 Prozent von dem, was ich beruflich tue, empfinde ich als sinnvoll. Ein unglaublicher Prozentsatz. Vor den Zeiten der Zukunftswerkstatt kam ich auf 20 bis 40 Prozent. Insofern würde ich gerne so weitermachen wie bisher, nur deutlich entspannter. Zudem wünsche ich mir sehr, dass Udo gesponsert wird, zu schreiben, zu schreiben und zu schreiben… Das lese ich dann hinterher gerne durch und kommentiere es. Anschließend fahren wir in Urlaub und dann arbeiten wir wieder ein bisschen…. Außerdem möchte ich lernen, die Saiten meines Trauminstrumentes Cello so zu spielen, dass es mir ein Wohlklang ist.
Udo: Mein Hauptwunsch ist, möglichst lange und möglichst gesund zu leben. Ein bisschen mehr gesponsert zu werden – das wäre auch in meinem Sinne. Ansonsten möchte ich gerne weiter meinen Impulsen nachgehen können – beispielsweise dem, etwas mehr zur Kinderwürde zu entwickeln und zu schreiben. Ich freue mich, wenn es dann Freunde und Kollegen gibt, die das unterstützen und mitmachen.
Mein Traum wäre, dass die Kreative Leibtherapie mehr zum Mainstream wird: Ich hätte gerne, dass Psychotherapeuten, Psychologen und psychologische Ärzte mitbekommen, dass Kreative Leibtherapie ein tiefenpsychologisch fundiertes Verfahren ist, das gut ist und wirkt. Soll sich die Kreative Leibtherapie langfristig durchsetzen, braucht es dafür nicht Menschen, die sie weitertragen, und eine Organisation wie die Zukunftswerkstatt, sondern auch die Hochschulen. Dort aber sind wir noch nicht präsent. Das bekommen Gabriele und ich auch nicht mehr hin. Somit ist dieser Wunsch ein langfristiger und strategischer an die nächste Generation.
Wenn ich Euch so anschaue, dann haben wir über etwas Wichtiges noch nicht gesprochen – Eure Liebe.
Udo: Wenn wir uns nicht als Paar hätten, gäbe es keine Zukunftswerkstatt und keine Kreative Leibtherapie. Ist das nicht ein schönes Schlusswort?
Das Gespräch wurde anlässlich des 70sten Geburtstages von Udo Baer 2019 geführt.
Redaktion: Frank Frick